Eine Unsitte anwenden

11. Juli 2013

Natürlichen Kaugummi kauen

Viele Faktoren bestimmen unseren Alltag von außen her. Wer heute erfolgreich sein will, der muss vor allem flexibel, dynamisch, gut ausgebildet, attraktiv und wendig sein. So kann man auch in schlechteren Zeiten überleben, wenn ein Betrieb nach dem anderen schließt und Arbeitsplätze massenweise abgebaut werden. Die nächstbeste Gelegenheit muss wohl oder übel wieder ergriffen werden, um einen Job zu bekommen. Eine Garantie auf Dauer gibt es aber dann auch nicht. Was haben solche Lebensumstände zur Folge? Es ist eine neue Zivilisationskrankheit mit Namen Entwurzelung. Wer einmal sein Fundament aufgegeben oder nie eines besessen hat, verfällt entweder in eine psychische Trägheit oder in eine Hyperaktivität, die ein Nachdenken gar nicht mehr zulässt. Vielleicht sind wir Erdenbürger mit den Pflanzen näher verwandt, als wir meinen. Denn so wie ein Gewächs ohne Wurzel keine Frucht bringen kann, so hinterlässt auch der rein oberflächlich lebende Mensch kaum eine Spur, die es gilt, später einmal zu beschreiten. In unserem Kräutergarten vor dem Stift Geras wächst in einem Beet der Alant. Er wird mehr als mannshoch und streckt seine sonnengleichen Blüten gen Himmel. An einer Alantpflanze kann ich mich aufrichten. Ich darf in deren Nähe meine Selbstachtung stärken und meinen Blick auf die von innen her bestimmte Existenz meiner Tage lenken. Denn alles Äußere hat einmal ein Ende. Das, was über den Tod hinausführt, ist meine unsterbliche Seele, die auf Gott hin programmiert ist. Der Alant hat eine kräftige Wurzel. Sie kann mir vielleicht helfen, erneut in einer von Schnelllebigkeit verzerrten Sicht der Dinge den Glauben wiederum zu entdecken, der mich in Wahrheit leben lässt.

Alantwurzel kauen:

Ich mag weder Kaugummi noch Leute, die damit, an eine Kuh erinnernd, mit ständigen Kieferbewegungen selbst an heiligen Orten herumlaufen. Menschen jedoch, die unter Magenbeschwerden oder einer schlechten Verdauung leiden, können vor dem Essen ein kleines Stück von der getrockneten Alantwurzel kauen, um dieses abschließend wiederum auszuspucken. Gegen diesen pflanzlichen Kaugummi ist nichts einzuwenden. ⓒ Aquarell von Adolf Blaim, Kräuterpfarrer-Zentrum Karlstein/Thaya